SN36 bdo-Stellungnahme Richtlinienentwurf Barrierefreiheit
Zum Vorschlag für eine RICHTLINIE DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen COM(2015) 615 final (EAA)
Berlin, 15.04.2016
Der Bundesverband Deutscher Omnibusunternehmer e.V. (bdo) ist der Spitzenverband der privaten Omnibusbranche in der Bundesrepublik Deutschland. Er vertritt auf Bundesebene und im internationalen Bereich die gewerbepolitischen und fachlichen Interessen von rund 3.000 Busunternehmern, die sich im Öffentlichen Personennahverkehr, in der Bustouristik und im Busfernlinienverkehr engagieren und unter dem Dach des bdo zusammengeschlossen haben.
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1. Der Begriff der Barrierefreiheit (Richtlinienentwurf 2015/0278 (COD))_
Der Begriff der „Barrierefreiheit“ stellt den zentralen Punkt des Regelwerkes dar. Sofern mit einer neuen Richtlinie das Ziel verfolgt werden soll, Unsicherheiten zu beseitigen, sehen wir bereits hier das Problem, dass sich eine Definition dieses Begriffs aus dem vorgeschlagenen Richtlinientext nicht unmittelbar ergibt. In Art. 2 Abs. 1 werden barrierefreie Produkte und Dienstleistungen derart beschreiben, dass diese „für Menschen mit funktionellen Einschränkungen, darunter auch für Menschen mit Behinderungen, ebenso wahrnehmbar, bedienbar und verstehbar sind wie für andere Menschen“. Dies bedeutet, dass Produkte und Dienstleistungen quasi ausnahmslos für alle Menschen (be-) nutzbar sein müssen. Bei einer derart weitreichenden Definition von barrierefreien Produkten und Dienstleistungen hegen wir große Zweifel, dass das Ziel barrierefreier Personenbeförderungsleistungen überhaupt je erreicht werden kann.
Die Begründung zu dem Richtlinienentwurf setzt sich zwar mit dem Begriff der Barrierefreiheit auseinander indem ausgeführt wird, „dass Hindernisse bei der Nutzung gängiger Produkte und Dienstleistungen beseitigt werden bzw. gar nicht erst entstehen.“ Jedoch wird auch hier auf „Menschen mit funktionellen Einschränkungen“ abgestellt, zu denen auch „Menschen mit Behinderungen“ zählten. Art. 2 Abs. 3 des Richtlinienvorschlags umschreibt Menschen mit funktionellen Einschränkungen als „Menschen, die eine dauerhafte oder vorübergehende körperliche, seelische, geistige oder sensorische Beeinträchtigung haben, welche in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren dazu führt, dass diese Menschen verminderten Zugang zu Produkten und Dienstleistungen haben, und bewirkt, dass diese Produkte und Dienstleistungen an ihre Bedürfnisse angepasst werden müssen.“
Schon die Berücksichtigung der speziellen Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung bedeutet eine große Herausforderung. Eine begriffliche Ausweitung auf Menschen mit funktionellen Einschränkungen stellt unserer Auffassung nach keine realistisch handhabbare Zielsetzung dar und erscheint daher verfehlt. Wir würden es für zielführender erachten, sich entsprechend des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderung auf die Bedürfnisse dieser betroffenen Menschen auszurichten.
Wir halten es zudem methodisch für problematisch, die funktionellen Einschränkungen eines Menschen u.a. auch danach zu definieren, ob Produkte und Dienstleistungen aufgrund individueller Beeinträchtigungen an die besonderen Bedürfnisse dieser Menschen angepasst werden müssen. Danach wären nahezu alle Menschen mit einer Beeinträchtigung im Sinne dieser Vorschrift funktionell eingeschränkt, sobald ein wie auch immer gearteter Anpassungsbedarf bei Produkten und Dienstleistungen festgestellt wird, was sich wiederum in fast allen Fällen mit der Beeinträchtigung der betroffen Menschen begründen ließe. Wir halten dies für einen klassischen Zirkelschluss. Es erscheint schlichtweg unmöglich, jedwede dauerhafte oder vorübergehende körperliche, seelische, geistige oder sensorische Beeinträchtigung durch Gestaltung bzw. Umgestaltung von Personenbeförderungsleistungen vollständig als beeinträchtigende Faktoren zu neutralisieren (z.B. Angstzustände).
In Deutschland sind die Ansprüche auf barrierefreien Zugang in verschiedenen Gesetzen geregelt. Der Anwendungsbereich ist dabei nicht für die private Wirtschaft geöffnet, sondern zielt auf Träger im öffentlichen Bereich. Es besteht aber die Möglichkeit, Zielvereinbarungen abzuschließen und von dieser Möglichkeit wird in der Praxis rege Gebrauch gemacht, weshalb diesseits für eine Beibehaltung der Möglichkeit freiwilliger Verpflichtungen plädiert wird.
2. Technische Umsetzbarkeit
In Anhang I zu dem Vorschlag für eine Richtlinie zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen werden u.a. für Fahrausweisautomaten, Beförderungsdienste im Busverkehr, verwendete Websites, intelligente Ticketsysteme und Echtzeitinformationen Zielvorgaben beschrieben, wie beispielsweise die Ansprache über mehr als einen sensorischen Kanal, Alternativen zur Sprache für Kommunikation und Orientierung, flexible Möglichkeiten für die Trennung und Einstellung von Vordergrund und Hintergrund einschließlich der Möglichkeit zur Verringerung von Hintergrundgeräuschen und zur Erhöhung der Schärfe, sequentielle Steuerung und Alternativen zur feinmotorischen Steuerung oder die Vermeidung des Auslösens fotosensitiver Anfälle.
Diese Funktionsanforderungen sind sehr konkret, ohne jedoch die technische Umsetzbarkeit zu berücksichtigen. Viele der Vorgaben sind derzeit gar nicht oder nur mit einem technisch bzw. wirtschaftlich nicht vertretbaren Aufwand realisierbar. Unseres Erachtens können nur technische Funktionen vorgeschrieben werden, sofern diese auch tatsächlich technisch möglich und wirtschaftlich vertretbar sind.
Hier bekommt unseres Erachtens einer Folgenabschätzung ganz besondere Bedeutung zu.
3. Bedeutung des Richtlinienentwurfs für innerstaatliche Dienste
Sofern der Richtlinienentwurf damit begründet wird, dass europaweit einheitliche Anforderungen an die Barrierefreiheit entsprechende Unsicherheiten der Unternehmer bei grenzüberschreitenden Dienstleistungen beseitigen würden, so ist zu beachten, dass dieses Argument für rein innerstaatliche Beförderungsdienste nicht greift. Da sich der Richtlinienentwurf offenkundig nicht an innerstaatlichen Dienstleistungen orientiert hat, sollten diese von den Regelungen ausgenommen werden.
4. Anrufung der Gerichte oder Verwaltungsbehörden durch den Verbraucher (Richtlinienentwurf 2015/0278 (COD))
Art. 25 Abs. 1 fordert von den Mitgliedstaaten angemessene und wirksame Mittel, mit denen die Befolgung dieser Richtlinie sichergestellt werden soll. Dazu zählt ein Klagerecht des betroffenen Verbrauchers (Art. 25 Abs. 2 Ziff. a)). Diese Regelung halten wir für zu unbestimmt. Wichtige Fragen, beispielsweise die der Beweislast, werden völlig offengelassen.
5. Folgenabschätzung
Hinsichtlich einer Folgenabschätzung gestatten Sie uns, zunächst auf die hohe Anzahl allein an Fahrscheinautomaten und Anzeigen zur Fahrgastinformation zu verweisen. Eine Umstellung gemäß der aufgeführten Zielvorgaben zur barrierefreien Benutzung dürfte enorme Investitionskosten verursachen, sofern überhaupt eine technische Realisierung machbar ist.