SN20 bdo-Stellungnahme Leitlinien VO 1370
Zum Leitlinienentwurf der EU-Kommission zur Verordnung 1370/2007
Berlin, 14.11.2012
Der Bundesverband Deutscher Omnibusunternehmer e.V. (bdo) ist der Spitzenverband der privaten Omnibusbranche in der Bundesrepublik Deutschland. Er vertritt auf Bundesebene und im internationalen Bereich die gewerbepolitischen und fachlichen Interessen von rund 3.000 Busunternehmern, die sich im Öffentlichen Personennahverkehr, in der Bustouristik und im Busfernlinienverkehr engagieren und unter dem Dach des bdo zusammengeschlossen haben.
Mit großer Befremdung nimmt der bdo zur Kenntnis, dass die EU-Kommission Leitlinien in Form eines Nonpapers zur Auslegung der Verordnung (EG) 1370/2007 (im Folgenden VO 1370) erstellt und sich dazu mit ausgewählten Interessengruppen beraten hat. Obwohl der bdo, als Interessenvertreter der privaten deutschen Busunternehmen, in diesen Prozess nicht einbezogen worden ist, nehmen wir zu dem Leitlinienentwurf Stellung wie folgt:
A. Allgemeines:
Die VO 1370 ist das Ergebnis eines jahrelangen Prozesses mit unzähligen Diskussionen und Verhandlungen mit den Akteuren des Schienen- und Straßenpersonenverkehrs. Da die Verordnung einen Übergangszeitraum bis Ende 2019 vorsieht und in vielen europäischen Mitgliedstaaten die Anwendung ihrer Regelungen noch ganz am Anfang steht, ist es gegenwärtig verfrüht, eine Beurteilung der Anwendung der Bestimmungen der Verordnung in den Mitgliedstaaten vorzunehmen. Zudem ist die Art und Weise des Zustandekommens des vorliegenden Leitlinienentwurfs fragwürdig. So verwundert es schon, dass es in der Einleitung des Dossiers heißt, der Wunsch nach einer Mitteilung zu Auslegungsfragen sei bei der unionsweiten Konferenz der Interessengruppen am 14. November 2012 deutlich geworden, andererseits aus dem Schreiben der EU-Kommission an die ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten hervorgeht, die Mitteilung der Kommission sei auf vorbenannter Konferenz bereits angekündigt worden. Ferner befremdet der Umstand, dass die Kommission vor der endgültigen Verabschiedung ihrer Auslegungsmitteilung die Mitgliedstaaten und einiger ausgewählter Interessenvertreter anhört, dann aber wiederum verlauten lässt, sie wolle Aufschluss über ihr Verständnis der Verordnung geben.
Wenn aber wiederum eine solche Konsultation erfolgt, müssen auch die nationalen Verkehrsverbände, deren Mitglieder von den vorgenommenen Beurteilungen der Kommission unmittelbar betroffen sind, angehört werden. Im Übrigen ist die Frist zur Stellungnahme für ein zwanzigseitiges, hoch komplexes, von der Kommission nur in englischer Sprache zur Verfügung gestelltes Dossier mit nur vier Wochen viel zu kurz bemessen.
Die Kommission betont selbst im Editorial ihres Non-papers, dass die Auslegung des Unionsrechts letztlich dem Europäischen Gerichtshof obliegt. Da die Leitlinien auf der einen Seite an vielen Stellen unkonkret bleiben, sich andererseits die Gegebenheiten vor Ort EU-weit zum Teil dramatisch unterscheiden, so dass sich eine einheitliche „Brüsseler Lösung“ im Gegensatz zu einer individuellen lokalen bzw. regionalen Lösung verbietet und schließlich zu dem wirklich auslegungsbedürftigen Teil der VO 1370 - ihrem Anhang - viele Antworten schuldig bleibt, stellt sich insgesamt die Frage nach der Sinnhaftigkeit dieses Entwurfs.
B. Im Einzelnen:
I. Ausschließliche Rechte
Die Ausführungen zu Art und Umfang ausschließlicher Rechte bleiben richtiger Weise sehr allgemein, sind damit aber gleichsam überflüssig. Eine über die Definition des Begriffs „ausschließliche Rechte“ hinausgehende Interpretation verbietet sich bereits aufgrund der in einem langjährigen und schwierigen Gesetzgebungsverfahren zustande gekommenen Legaldefinition, die sich in Art. 2 lit. f VO 1370 findet: „„ausschließliches Recht“ ein Recht, das einen Betreiber eines öffentlichen Dienstes berechtigt, bestimmte öffentliche Personenverkehrsdienste auf einer bestimmten Strecke oder in einem bestimmten Streckennetz oder Gebiet unter Ausschluss aller anderen solchen Betreiber zu erbringen. Diese Definition ist eindeutig und keinesfalls interpretationsfähig.
Wenn es jedoch die Intention der Kommission sein sollte, inhaltliche Änderungen dieser Definition herbeizuführen, so kann dies keinesfalls in Form einer Leitlinie erfolgen. Es kann nicht sein, dass die Kommission den in einem rechtsförmigen Verfahren entstandenen Verordnungstext im Alleingang am Europäischen Parlament vorbei über den Weg einer Mitteilung ändert.
Die Aussage, dass Aufgabenträger ausschließliche Rechte präzise zu definieren haben und diese nur in engen Grenzen („…not exceed what is necessary to provide the required economic protection…“) gewährt werden dürfen und für andere Dienste Raum lassen müssen, ist zwar zutreffend, entspricht aber ohnehin dem Rechtsgedanken der VO 1370.
Die Ausführungen zu „Artikel 2(f) und Artikel 3(1)“ (S. 7 des Nonpapers) sind daher komplett zu streichen.
II. Eigenerbringungsquote
Während des Gesetzgebungsverfahrens zur VO 1370 sind die Voraussetzungen und Bedingungen der Direktvergabe an einen internen Betreiber und dabei insbesondere der Umfang des von diesem selbst zu erbringenden Teils des öffentlichen Personenverkehrsdienstes im Trilogverfahren sehr intensiv und kontrovers diskutiert worden. Während teilweise vorgeschlagen wurde, diese Quote mit 51 % zu beziffern, präferierten andere 66 % und wiederum andere Beteiligte versuchten, eine niedrigere Quote zu installieren. Letztendlich konnte eine Einigung nur in Form eines Kompromisses erzielt werden. Dieser Kompromiss findet seinen Niederschlag in der Formulierung „den überwiegenden Teil“. Diese Formulierung gibt den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, den Gegebenheiten vor Ort Rechnung zu tragen. In Deutschland ist „der überwiegende Teil“ bislang mit „51%“ ausgelegt worden. Das hiesige ÖPNV-System ist damit gut ausbalanciert und bedarf keiner Korrekturen durch die Kommission. Es gibt auch keinerlei Legitimierung für die Kommission, diesen vom Verordnungsgeber bewusst eingeräumten Spielraum zu begrenzen, indem sie in ihren Leitlinien diesen Begriff mit „zwei Drittel“ auslegt.
III. Anhang
Wie bereits eingangs bemerkt, tragen die Ausführungen zum Anhang der VO 1370 nicht zu größerer Rechtssicherheit bei, sondern verunklaren vielmehr die ohnehin bereits sehr komplexe Materie noch zusätzlich. Zudem bleiben die Aussagen hinter der Rechtsprechung des EuGH zurück und stehen teilweise im Widerspruch zu von der Kommission zu früheren Zeitpunkten zu den in Rede stehenden Fragestellungen gegebenen Antworten.
1. Angemessener Gewinn
Im Zuge der zwischen dem Bundesverband Deutscher Omnibusunternehmer (bdo) in Zusammenarbeit mit der PKF Industrie- und Verkehrstreuhand und den Generaldirektionen MOVE und COMP in den Jahren 2010 und 2011 erfolgten Abstimmung zur Darstellung einer Trennungs- und Anhangsabrechnung für KMU war Einigkeit darüber erzielt worden, dass beim Personenverkehr mit Bussen die Kapitalrendite nicht der einzige Maßstab zur Beurteilung des angemessenen Gewinns sein kann. Bedauerlicherweise fehlen in den Leitlinien jegliche diesbezügliche Ausführungen.
Während im Eisenbahnsektor bis zu 80 % der Kosten kapitalinduziert sind, sind im Busbereich bis zu 80 % der Kosten personalinduziert, d. h. die Kapitalrendite ist nur für den Anteil der Kostenart Kapitalkosten relevant (Abschreibungen und Zinsaufwendungen). Es ist daher erforderlich, neben der Wagniskomponente Gesamtkapital i. S. ROA (Kapitalkosten) weitere Wagniskomponenten „übrige Kosten“ (insbesondere Personal- und Energiekosten und deren Fortschreibungsmechanismen ROC) und „Einnahmen“ (ROS) zu berücksichtigen. Als Referenz sollten die der Entscheidung „Südmähren“ der EU-Kommission zugrunde gelegten Maßstäbe herangezogen werden. Dort ist auf eine Marge (ROS) von 7,85 % und auf eine Gesamtkapitalrendite (ROA) von 12,50 % abgestellt worden.
2. Prüfung der Ausgleichsregelung
Darüber hinaus verstoßen die Auslegungen zum Anhang der VO 1370 gegen die im Small Business Act statuierten Grundsätze zum Schutz kleiner und mittlerer Unternehmen. In Deutschland weist der Bussektor verglichen mit dem vieler anderer Mitgliedstaaten sehr kleinteilige Strukturen auf. Die privaten deutschen Omnibusbetriebe verfügen im Durchschnitt über 34 Mitarbeiter und 17 Fahrzeuge.
Es ist daher von eklatanter Bedeutung, die vom Anhang der VO 1370 vorgegebenen Anforderungen an die Nachweistiefe zur Unternehmensgröße und Höhe der Ausgleichsleistung in Relation zu setzen. Anderenfalls würden kleine Unternehmen von dem mit der Anhangsabrechnung verbundenen bürokratischen Aufwand überfordert und dadurch im Wettbewerb benachteiligt.
Insbesondere die Ausführungen, wonach der öffentliche Dienstleistungsauftrag mindestens jährliche Überprüfungen auf Überkompensation vorsehen soll, widersprechen früheren Einlassungen der Generaldirektion Wettbewerb (COMP), denen zufolge Ex-post-Überprüfungen alle vier oder fünf Jahre unter der Voraussetzung akzeptiert werden können, dass sie die wirtschaftliche Realität wiedergeben. Auch das Vorgehen einer Abrechnung nach Anhang pro Aufgabenträger war in diesem Zusammenhang von der DG COMP akzeptiert worden. In den Ausführungen unter „Art. 4 (1) und (2) sowie Anhang“ (S. 15) wird dagegen eine getrennte Rechnungslegung für jeden einzelnen öffentlichen Dienstleistungsauftrag gefordert. Dies kann in der Praxis u. U. zu einem völlig unangemessenen bürokratischen Aufwand führen. Diese Aussage ist daher ebenfalls zu streichen.
IV Fazit:
Die Leitlinien sind in keiner Weise geeignet, Rechtssicherheit zu schaffen. Sie weichen in wichtigen Punkten von der Intention und vom Inhalt der Verordnung ab. Daher fordern wir die EU-Kommission hiermit auf, diese Leitlinien zurückzunehmen. Der europäische Gesetzgeber hat für die VO 1370 eine Übergangszeit bis zum Jahr 2019 vorgesehen; erst wenn diese Übergangsfrist abgelaufen ist und sich dann Verwerfungen zeigen, ist für die EU-Kommission der Zeitpunkt zum Handeln gekommen.