SN22 bdo-Stellungnahme Barrierefreiheit

Zum Erfordernis der Barrierefreiheit in Reisebussen, die im Fernlinienverkehr eingesetzt werden (§ 42b i.V.m. § 62 Abs. 3 PBefG)

Berlin, 28.02.2013

Der Bundesverband Deutscher Omnibusunternehmer e.V. (bdo) ist der Spitzenverband der privaten Omnibusbranche in der Bundesrepublik Deutschland. Er vertritt auf Bundesebene und im internationalen Bereich die gewerbepolitischen und fachlichen Interessen von rund 3.000 Busunternehmern, die sich im Öffentlichen Personennahverkehr, in der Bustouristik und im Busfernlinienverkehr engagieren und unter dem Dach des bdo zusammengeschlossen haben.

Ausgangssituation
Mit Inkrafttreten des novellierten Personenbeförderungsgesetzes zum 1.1.2013 ist die barrierefreie Ausgestaltung von im Fernlinienverkehr eingesetzten Reisebussen in zwei zeitlichen Stufen verbindlich festgelegt worden. Reisebusse im Fernlinienverkehr, die neu zugelassen werden, müssen ab dem 01.01.2016 den Vorgaben des Anhangs VII der Richtlinie 2001/85 entsprechen und mit mindestens zwei Rollstuhlplätzen ausgerüstet sein. Ab dem 01.01.2020 müssen alle Reisebusse im Fernlinienverkehr diese Ausstattung aufweisen.

Die in diesem Marktsegment tätigen Beförderer werden dadurch vor eine ganze Reihe von Problemen gestellt.

1. Erhöhte Investitionskosten:
Die Mehrkosten für einen Hublift belaufen sich auf ca. 30.000 €. Hinzu kommen die Kosten für die ca. 6-8 Sitzplätze, die durch die beiden Rollstuhlplätze entfallen sowie die Wartungskosten für den Lift. Bislang sind noch keine barrierefreien Reisebusse serienmäßig am Markt erhältlich. Bei den im Verkehr befindlichen barrierefreien Fahrzeugen handelt es sich ausnahmslos um Sonder- bzw. Spezialanfertigungen.

2. Übergangsfristen
Die im Gesetz verankerten Übergangsfristen sind sehr ehrgeizig und mit der Praxis und dem Umstand, dass es sich beim Fernbusverkehr um ein völlig neues Marktsegment handelt, nur schwer in Einklang zu bringen. Berücksichtigt man die marktüblichen steuerlichen Abschreibungsfristen von acht Jahren, müssten eigentlich bereits jetzt ausschließlich Fahrzeuge angeschafft werden, die den Vorgaben des novellierten PBefG entsprechen. Diese Fahrzeuge sind aber – wie oben ausgeführt – noch nicht serienmäßig am Markt erhältlich (barrierefrei und Euro VI). Unternehmer, die jetzt für den Fernlinienverkehr neue Busse kaufen, werden vor diesem Hintergrund die Fahrzeuge nur über einen kürzeren als den bisher üblichen Zeitraum wirtschaftlich nutzen können und beim Weiterverkauf finanzielle Einbußen hinnehmen müssen.

3. Rollstuhlbeschaffenheit
Die unterschiedliche Rollstuhlbeschaffenheit stellt ein weiteres großes Problem auf dem Weg zur Barrierefreiheit dar. Es gibt kaum Standardrollstühle, die meisten Rollstühle sind individualisiert und auf das jeweilige Krankenbild abgestimmt. Die entsprechenden technischen Spezifikationen sind im Medizinproduktegesetz geregelt. Die mit der Produktvielfalt einhergehenden Schwierigkeiten sind zum einen der Umstand, dass es (lt. Rollstuhlhersteller Ottobock) mindestens 5 bis 8 verschiedene Sicherungssysteme an den verschiedenen Rollstühlen gibt (Ösen, durch die die Befestigungsgurte gezogen werden). Zum anderen weisen sehr viele Rollstühle keinen sog. Kraftknoten auf (dies ist gemäß DIN 75078-2 ein „Punkt, in dem idealerweise die Rückhaltekräfte des Personenrückhaltesystems in das Rollstuhlrückhaltesystem eingeleitet werden“) und sind somit nicht zur Beförderung als Fahrzeugsitz geeignet. Wenn es zu einem Aufprall kommt, können die entstehenden Kräfte nicht abgeleitet werden und es kann passieren, dass der nicht mit einem Kraftknoten ausgestattete Rollstuhl in Einzelteile zerfällt, wie es Crashtests der Bundesanstalt für Straßenwesen bewiesen haben.

Einige Rollstuhlhersteller streben gegenwärtig die Einführung einer Kennzeichnung an („Ampel“), aus der für den Busfahrer erkennbar wird, ob sich der Rollstuhl überhaupt als Fahrzeugsitz sicher befördern lässt.

Was die Nachrüstung mit Kraftknotenpunkten anbelangt, weigern sich viele Krankenkassen bzw. Sozialhilfeträger, diese Kosten zu übernehmen. Hier ist nach unserer Auffassung das Bundesministerium für Gesundheit in der Pflicht, eine geeignete Lösung zu finden.

Seitens der Behindertenvertreter wird verständlicherweise argumentiert, dass die entstehenden Mehrkosten keinesfalls zulasten der mobilitätseingeschränkten Personen gehen dürfen. Es muss aber ebenso unbedingt vermieden werden, dass das Sicherheitsrisiko, das besteht, wenn als Fahrzeugsitz ungeeignete Rollstühle befördert werden, allein von den Beförderern getragen wird. Hier sollten nach Ansicht des bdo die Versicherer in die Erarbeitung einer praktikablen Lösung einbezogen werden.

4. Höchstzulässiges Gesamtgewicht
Vor dem Hintergrund, dass die Busse durch die zahlreichen heute zu beachtenden Umwelt- und Sicherheitsstandards über die letzten Jahre immer schwerer geworden sind (Euro VI-Fahrzeuge wiegen ca. 600 kg mehr als Euro V-Fahrzeuge) und angesichts des Umstands, dass die Vorgaben zur Barrierefreiheit der Fahrzeuge einen weiteren Anstieg des Fahrzeuggewichts zur Folge haben (Lift, Rollstühle), ist eine Anpassung der zulässigen Gesamtmassen unabdingbar. Die EU-Kommission hat erklärt, Anfang 2013 mit dem offiziellen Gesetzgebungsverfahren zur Änderung der Richtlinie 96/53/EG zur Festlegung der zulässigen Gesamtgewichte zu beginnen. Die Forderung des bdo zielt darauf ab, die Anhebung der Gesamtmasse bei 2-Achsen-Bussen von derzeit 18 Tonnen auf EU-weit 19,5 Tonnen zu erreichen.

5. Bauliche Infrastruktur
Barrierefreie Fahrzeuge sind nur ein Baustein der barrierefreien Mobilität. Ganz entscheidend ist immer auch die bauliche Infrastruktur. Nur wenn neben dem barrierefreien Ein- und Ausstieg sowie der sicheren Beförderung auch der Weg zum Fahrzeug für mobilitätseingeschränkte Fahrgäste barrierefrei zu bewältigen ist, ist barrierefreie Mobilität gegeben. Die Schätzungen der Kosten für den Umbau aller Haltestellen belaufen sich auf 20 Mrd. €. Angesichts der angespannten Lage der öffentlichen Haushalte stehen wir auch hier vor großen Herausforderungen.

Fazit
Die Barrierefreiheit in Bussen ist gegenwärtig noch kein Zustand, aber ein fortgeschrittener Prozess. Es bedarf noch vieler Anstrengungen aller Beteiligter, um hier zufriedenstellende Ergebnisse zu erzielen. Die Verankerung der Barrierefreiheit im novellierten PBefG ist ein entscheidender Schritt in diese Richtung. Nun bedarf es des Zusammenwirkens des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, des Bundesministeriums für Gesundheit, der Bushersteller, der Beförderer, der Versicherungsunternehmen und der Vertreter mobilitätseingeschränkter Fahrgäste, um die Barrierefreiheit in die Praxis umzusetzen.