SN80 Stellungnahme des bdo zum Entwurf eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes

Stellungnahme des bdo zum Entwurf eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes

Der Bundesverband Deutscher Omnibusunternehmen (bdo) ist der Spitzenverband der deutschen Busbranche und vertritt die Interessen von über 3.000 privaten und mittelständischen Unternehmen aus dem Bereich Personennahverkehr, Bustouristik und Fernlinienverkehr gegenüber Politik und Öffentlichkeit.

Der bdo bedankt sich für die Möglichkeit, die Verbandsposition zum Entwurf eines Achten Gesetzes zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes vorzustellen und nimmt wie folgt Stellung:

1. Rechtssicheren Ausgleichsanspruch für Unternehmen herstellen.

Die Einführung des Deutschlandtickets kommt für den Busmittelstand zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Nach über zwei Jahren Coronapandemie und Abhängigkeit von einem ÖPNV-Rettungsschirm ist die Eigenkapitaldecke der privaten Unternehmen aufgebraucht. Hinzukommt die durch den Krieg auf die Ukraine verursachte Dieselkostenexplosion, die zusätzliche dramatische Auswirkungen auf die Busbranche hat. Bis heute haben die Unternehmen den exorbitanten Dieselkostenanstieg völlig allein zu tragen. Weder konnten sich Bund und Länder auf zusätzliche Regionalisierungsmittel für Dieselkostenhilfen einige, noch hat die Bundesregierung unter Fehderführung des BMWK die Busunternehmen im Rahmen der KMU-Hilfen unterstützt. Während Länder, wie Ös-terreich die von der EU zur Verfügung gestellten Hilfen neben Gas und Strom auch auf Diesel anwenden hat sich die Bundesregierung bewusst gegen Hilfen für Busunternehmen zur Abmilderung der Energiekrise-Folgen gestellt. Trotz massiver Warnungen und Apelle durch den bdo und seiner Landesverbände hat sich die Bundesregierung dafür entschieden, den Busmittelstand bei der Bewältigung dieser immensen Krisensituation „im Regen stehen zu lassen“.

Das Deutschlandticket wird nicht abzusehende Auswirkungen auf die deutsche ÖPNV-Landschaft haben. Zunächst werden die Fahrgäste erheblich vom neuen Angebot profitieren und finanziell entlastet. Der niedrige Preis des Angebots sorgt dafür, dass es das dominierende Tarifprodukt werden wird. Neben dem Deutschlandticket werden nicht viele Zeitkarten bestehen können. Auch im Bereich der Einzelfahrtausweise im SPNV wird es deut-liche Verschiebungen geben. In vielen Fällen wird es sich schon bei einer Hin- und Rückfahrt über mittlere Stre-cken lohnen, ein Deutschlandticket anstelle von zwei Einzelfahrscheinen zu buchen. Gleichzeitig wird das Deutschlandticket auch erheblichste Folgen für die Verkehrsunternehmen selbst haben. Ein Grundpfeiler der ÖPNV-Finanzierung, die Ticketeinnahmen, wird durch staatliche Vorgaben drastisch gesenkt. Entsprechend wichtig ist es beim Deutschlandticket, sorgfältig vorzugehen, um sicherzustellen, dass diese Mindereinnahmen den Unternehmen ausgeglichen werden.

Die Bundesregierung beabsichtigt, dass Deutschlandticket so schnell wie möglich einzuführen. Da eine grundsätzlich mit der Einführung eines solchen Tickets notwendige bundesweite Einnahmeaufteilung nicht innerhalb von Monaten zu entwickeln und umzusetzen ist, soll im Rahmen einer Übergangsphase bis mindestens Ende 2024 die bestehende ÖPNV-Rettungsschirm-Systematik auf Basis der Einnahmen von 2019 angewendet werden. Dies wurde im Sommer 2022 mit dem 9-Euro-Ticket zwar ebenfalls so gehandhabt. Das Deutschlandticket ist aber anders als das 9-Euro Ticket nicht als kurzfristige und auf 3 Monate begrenzte Sozialmaßnahme zur Entlastung der privaten Haushalte aufgrund kriegsbedingt gestiegener Energiekosten anzusehen und damit verfassungs- und beihilferechtlich anders zu bewerten. Entsprechend müssen neue Wege gegangen werden, um das Deutschlandticket rechtssicher umsetzen zu können.

Bislang erfolgte der Ausgleich von Coronaschäden aus dem ÖPNV- Rettungsschirm über öffentliche Dienstleis-tungsaufträge (öDA) bei Direktvergaben, Brutto- und Nettoverträgen und über sog. „Not-öDA“ bei eigenwirtschaftlichen Verkehren. Über einen „Not-öDA“, der unter bestimmten Voraussetzungen über einen Zeitraum von höchstens 2 Jahren entsprechend der EUVO 1370/07 vergeben werden kann, wird die Verkehrsleistung aus der Eigenwirtschaftlichkeit in die Gemeinwirtschaftlichkeit überführt, allerdings mit der Vereinbarung, dass der Verkehr mit Ende der „Notsituation“ wieder in die Eigenwirtschaftlichkeit zurück überführt wird. Der Ausgleich von Hilfen aus dem ÖPNV-Rettungsschirm über allgemeine Vorschriften (AV) erfolgte nur in Ausnahmenfällen.

Aufgabenträger waren nicht verpflichtet einen Ausgleich über den ÖPNV-Rettungsschirm an die Unternehmen auszuzahlen. Der Rettungsschirm basierte bislang auf einer Billigkeitsrichtlinie ohne Rechtsanspruch auf Aus-gleich von Corona-Schäden. Über eine Leitlinie haben die Länder den Aufgabenträgern Hilfen für die Umsetzung der Auszahlungen an die Hand gegeben. Auch der Ausgleich der Mindereinnahmen aufgrund des 9-Euro-Tickets erfolgte größtenteils hierüber, obwohl es eigentlich weder eines öDA noch einer AV bedurft hätte, da die Bun-desregierung Ausgleichsleistungen aus dem 9-Euro-Ticket nicht als Beihilfen eingestuft hatte.

Ob das Deutschlandticket ebenfalls nicht als Beihilfe einzustufen ist, ist zurzeit allerdings völlig offen. Gespräche mit der EU-Kommission wurden hierzu noch nicht mit einem Ergebnis geführt. Dies betrifft im Übrigen die gesamte beihilferechtliche Prüfung des angedachten Ausgleichsverfahrens. Damit ist bislang beihilferechtlich nicht geklärt, dass die Unternehmen bei Anwendung des Tarifs einen entsprechenden Ausgleich ihrer Mindereinnahmen erhalten. Sollten sich die Ausgleichsleistungen als unzulässige Beihilfen herausstellen, liegt das Rückzahlungsrisiko und damit die komplette Haftung bei den Verkehrsunternehmen. Der bdo fordert daher, die Einführung des Tickets in keinem Fall vorzunehmen, bevor diese wichtigen Beihilfefragen mit der EU- Kommission einvernehmlich geklärt wurden.

Zudem ist der bdo der Auffassung, dass der Bundesgesetzgeber im Rahmen dieser RegG-Änderung die bundesweit überall gleichermaßen geltende Anwendung des Deutschlandtarif in Höhe von 49 Euro gesetzlich ausdrück-lich normieren und mit einer Tarifgenehmigungsfiktion versehen muss. Wenn der Bundesgesetzgeber ein solches Ticket aus politischen Gründen einführen möchte, dann MUSS er auch zwangslogisch auch die damit verbundenen Regelungen zur Umsetzung und zum Kostenausgleich für die Unternehmen treffen.

In keinem Fall funktioniert der bisherige Weg über eine Billigkeitsrichtlinie ohne Rechtsanspruch der Unterneh-men auf Ausgleich der Tarifabsenkungsmaßnahme für das Deutschlandticket. Während es sich bei Coronahilfen um eine freiwillige Leistung des Staates handelte, den Unternehmen in Krisenzeiten beizustehen, stellt das Deutschlandticket eine politisch beschlossene Tarifabsenkungsmaßnahme dar. Die Unternehmen sollen ver-pflichtet werden, Fahrgäste zu einem verbilligten Tarif zu befördern. Hintergrund für diese Maßnahme sind grundlegende klima- sowie sozialpolitische Ziele. Die Maßnahme stellt damit klassisch eine gemeinwirtschaftliche Verpflichtung nach der EUVO 1370/07 dar, denn es gibt keinen betriebswirtschaftlich nachvollziehbaren Grund, warum ein Unternehmen freiwillig auf Fahrgeldeinnahmen verzichten sollte.

Die gewünschte bundesweite Geltung des Deutschlandtickets kann daher nur erfolgen, wenn sichergestellt wird, dass das Deutschlandticket auch überall im ganzen Bundesgebiet Anwendung findet. Das bisherige System des ÖPNV-Rettungsschirms ist hierfür ungeeignet. Denn es stellt nicht sicher, dass wirklich alle Aufgaben-träger und Unternehmen das Deutschlandticket akzeptieren. Ohne einen garantierten Ausgleich der entgangenen Ticketeinnahmen werden sich viele Unternehmen schlicht nicht beteiligen.

Im Entwurf zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes schlägt die Bundesregierung jedoch leider einen entgegengesetzten Weg ein, trotz eindringlicher Appelle von Branchen und Ländern für Rechtssicherheit zu sorgen. Diese Unterlassung ist fatal und gefährdet das Deutschlandticket insgesamt. Es ist ausgeschlossen, dass sämtliche Aufgabenträger Deutschlands bis Mai den Tarif festlegen, alle Unternehmen diesen beantragen und er dann auch noch durch sämtliche Genehmigungsbehörden genehmigt wird.

Zudem wird so die Chance vertan, das Deutschlandticket zentral und damit für alle gleichermaßen zu regeln. Die Entscheidung über Art und Weise der Einführung des Tickets würde in die Hand der vielen unterschiedlichen Aufgabenträger und Verbünde gegeben, die eigenwirtschaftlich tätigen und mittelständischen Unternehmen würden zum Bittsteller bei den Aufgabenträgern.

Lösungsvorschlag:

Bund und Länder regeln im Regionalisierungsgesetz ausdrücklich Hintergrund, Art und Weise der Tarifvorgabe des Deutschlandtickets, sowie Art und Umfang des Ausgleichs. Damit entsteht eine verbindliche Rechtsgrundlage für alle Beteiligten und es wird sichergestellt, dass alle Aufgabenträger sowie Unternehmen das Ticket anwenden müssen. Ein Flickenteppich wird damit verhindert und das Deutschlandticket zum Erfolg geführt.

Durch eine solche Tarifvorgabe mit damit einhergehender Tarifgenehmigungsfiktion wird sichergestellt, dass das Deutschlandticket überall in Deutschland zeitgleich eingeführt wird und auch eigenwirtschaftliche Verkehre und damit der Mittelstand nicht geopfert werden. Unverständlicherweise enthält der Gesetzesentwurf weder eine konkrete Tarifvorgabe noch eine damit zusammenhängende Tarifgenehmigungsfiktion. Hier muss dringend nachgebessert werden.

2. Das „Deutschlandticket“ auskömmlich finanzieren.

Bund und Länder stellen zum Ausgleich der Kosten des Deutschlandtickets jeweils 1,5 Milliarden Euro pro Jahr für 2023 und 2024 bereit. Für 2023 ist eine Nachschusspflicht vereinbart, so dass eventuelle Mehrkosten auf jeden Fall ausgeglichen werden. Da das Deutschlandticket in 2023 jedoch nur für 7 Monate angeboten werden wird, ist die Wahrscheinlichkeit relativ gering, dass dieses Jahr ein Zuschussbedarf entsteht, der über die ins-gesamt 3 Milliarden Euro hinausgeht. Für 2024 sieht die Situation jedoch anders aus. Hier besteht noch erhebliche Unsicherheit, wie die die Finanzierung des Deutschlandtickets sichergestellt wird. Im entsprechenden Bund-Länder-Beschluss vom 08. Dezember 2022 heißt es hierzu kryptisch:

„In den Folgejahren vereinbaren Bund und Länder gemeinsam, wie die Finanzierung durch Ticketeinnahmen und die vereinbarten Zuschüsse in Höhe von je 1,5 Milliarden Euro sichergestellt wird.“

Branchenberechnungen haben jedoch ergeben, dass das Deutschlandticket für 49 Euro rund 3 Milliarden Euro jährlich kostet– wenn es ausschließlich im Abo vertrieben wird und ohne Einführungskosten zu berücksichtigen.

Auf Wunsch der Länder soll das Abo jedoch monatlich kündbar sein. Diese „de facto Monatskarte“ wird dazu führen, dass das bereitgestellte Budget um rund 500 Millionen Euro überschritten wird – so die entsprechenden Branchenberechnungen. Hier ist das Ende der Fahnenstange jedoch noch nicht erreicht. Eine einfach Kündbarkeit ohne finanzielle Vorteile sich langfristig zu binden, führt dazu, dass es für die Kund:innen keinerlei nennenswerte Vorteile mehr hat, ein echtes Abonnement abzuschließen. Im Gegenteil. Kaum jemand wird das Deutschlandticket jeden Monat so nutzen, dass die 49 Euro Ticketpreis „abgefahren werden“. Ökonomisch denkende Kund:innen werden das Deutschlandticket nur dann kaufen, wenn es für sie wirtschaftlich sinnvoll ist. Die Folge: Vorteile für die Fahrgäste aber fehlende Planungssicherheit für die Unternehmen, bürokratischer Aufwand für die „Abo-Verwaltung“ und nicht abzusehende Mehrkosten für das Gesamtsystem Deutschlandticket.

Umso wichtiger ist, dass eine auskömmliche Finanzierung des Experiments Deutschlandticket beschlossen wird. Die Unternehmen können und werden kein Tarifprodukt unterstützen, bei dem sie das finanzielle Risiko tragen müssen.

Der Bund-Länder-Beschluss vom 08. Dezember 2022 und auch der aktuelle Entwurf zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes bietet den Unternehmen hier keine Sicherheit. Es ist nicht klar, dass 2024 zusätzliche Mittel bereitgestellt werden, um eine auskömmliche Finanzierung des Deutschlandtickets sicherzustellen. Stattdessen rücken die Ticketeinnahmen in den Mittelpunkt. Allerdings ist vollkommen offen, ob die Ticketeinnahmen ausreichen werden, um mögliche Mehrkosten über 3 Milliarden auszugleichen. Dies könnte nur der Fall sein, wenn sich drastisch mehr Menschen für den Erwerb eines Deutschlandtickets entscheiden, als bei den Planungen prognostiziert wurde und es tatsächliche Mehreinnahmen gibt. Dies ist jedoch höchst unwahrscheinlich. Oder aber, der Ticketpreis des Deutschlandtickets wird bereits für 2024 angehoben, um zu gewährleisten, dass die vereinbarten Zuschüsse von Bund und Ländern ausreichen. Für eine Tariferhöhung, die auf realen Daten basiert und nicht nur einer groben Schätzung, werden Ende 2023 jedoch noch keine ausreichenden Daten und Fakten vorliegen. Ganz davon abgesehen, dass es politisch nur schwer durchzusetzen wäre, nach so kurzer Zeit den Preis des Deutschlandtickets anzuheben. Wie man es dreht, die Unternehmen können nicht sicher sein, dass sie mögliche Mindereinnahmen in 2024 vollständig ausgeglichen bekommen.

Lösungsvorschlag:

Bund und Länder einigen sich auch für 2024 auf eine Nachschusspflicht. Sollte das Deutschlandticket 2024 zu höheren Mindereinnahmen führen, als die veranschlagten 3 Milliarden Euro, dann muss sichergestellt sein, dass die Unternehmen diese Mindereinnahmen ausgeglichen bekommen.

3. Übergangsfrist für Papiertickets

Die Umstellung auf ein rein digitales Deutschlandtickets im Abo ist zurzeit gerade durch kleine Unternehmen in den ländlichen Regionen Deutschlands technisch nicht bis zum anvisierten Termin des 1. Mai 2023 darstellbar. Diese Unternehmen könnten damit kein Deutschlandticket verkaufen. Ihre bisherigen Kund:innen würden zu anderen Unternehmen abwandern und wären auch für die Zukunft verloren. Dies stellt eine beabsichtigte Dis-kriminierung von KMU Unternehmen dar und greift massiv in ihre unternehmerische Freiheit ein. Der bdo hält die Einführung eines papierlosen Tickets ohne Übergangszeitraum von ca. einem Jahr für verfassungswidrig. Zu-dem muss auch sichergestellt werden, dass es Lösungen für Menschen gibt, die kein Handy nutzen können oder dürfen. Auch muss überall eine Kontrollierbarkeit von digitalen Tickets gegeben sein. Ohne eine angemessene Übergangszeit ist dies nicht möglich. Zudem sind die Kosten für die technische Umsetzung auf den rein digitalen Vertrieb setzen. Die Unternehmen sind – wie zuvor dargelegt – nach wie vor im Krisenmodus und können durch das Deutschlandticket eingeführte zusätzliche Kosten der Digitalisierung nicht von eigener Hand stemmen.

4. Neutrale Datensammelstelle, Evaluation und faire Einnahmenaufteilung

Vertriebs- und Kundendaten stellen sensible Bereiche des wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs von Busunternehmen dar. Ihre Weitergabe an Datensammel- oder Clearingstellen für die Evaluation und/oder ggf. Einnahmeaufteilung kann ausschließlich an absolut neutrale Organisationen erfolgen. In keinem Fall können private Busunternehmen dazu verpflichtet werden, ihre sensiblen Betriebsdaten an andere Wettbewerber oder Marktteilnehmer weiter zu geben. Auch sieht es der bdo nicht als staatliche Aufgabe, als Bundesregierung selber eine Clearingstelle zu schaffen. Zuständig für die Einnahmeaufteilung sollten die Unternehmen selber sein. Hier könnte eine neutrale Organisation geschaffen werden, die paritätisch durch alle Markteilnehmer besetzt ist.