SN17 bdo-Position eigenständige Sozialvorschriften für den Personenverkehr
Eigenständige Sozialvorschriften für den Personenverkehr
Berlin, 18.06.2012
Der Bundesverband Deutscher Omnibusunternehmer e.V. (bdo) ist der Spitzenverband der privaten Omnibusbranche in der Bundesrepublik Deutschland. Er vertritt auf Bundesebene und im internationalen Bereich die gewerbepolitischen und fachlichen Interessen von rund 3.000 Busunternehmern, die sich im Öffentlichen Personennahverkehr, in der Bustouristik und im Busfernlinienverkehr engagieren und unter dem Dach des bdo zusammengeschlossen haben.
Vorbemerkung
Die EU-Verordnung 561/2006 ist auf den Güterverkehr und die diesem immanente Notwendigkeit des möglichst schnellen Transports von Waren von A nach B zugeschnitten. Die Beförderung von Personen ist aber etwas grundsätzlich anderes („A Passenger is not a Parcel“). Busfahrgäste lassen sich nicht disponieren wie Waren; ihre Bedürfnisse und Ansprüche sind vielfältig. Kein Fahrgast hat Verständnis für eine Lenkzeitpause auf einem überfüllten Rastplatz, wenn sich eine lohnende Sehenswürdigkeit nur 20 km weiter befindet, die Verordnung dies aber starr vorgibt (sogar die Reihenfolge der einzulegenden Pausen (erst 15 Minuten, danach 30 Minuten) wird vorgeschrieben). Während es unter der vorhergehenden Verordnung 3820/85 für einen Fahrer möglich war, 12 Tage hintereinander zu fahren (bei vielen Rundreisen werden nur am An- und Abreisetag lange Touren gefahren, an den anderen Tagen beträgt der Tagesstreckendurchschnitt häufig nur 200 km), ist dies nun nur noch unter ganz bestimmten Voraussetzungen möglich. Diese Voraussetzungen führen dazu, dass z. B. ein Busunternehmen mit nur einem Fahrer innerhalb von 12 Tagen von Berlin nach Norwegen und zurück fahren darf, aber im Gegensatz dazu der Unternehmer für eine siebentägige Rundreise durch den Bayrischen Wald einen zweiten Fahrer einsetzen muss, denn die Verordnung 561/2006 sieht vor, dass man nur dann mehr als sechs Tage hintereinander fahren darf, wenn mindestens 24 Stunden der Tour im Ausland verbracht werden. Der Sinn dieser Voraussetzung ist nicht nachvollziehbar, trägt nicht zur Verkehrssicherheit bei und ist absolut praxisfremd. Dem deutschen Omnibusgewerbe geht es in seiner Forderung nach eigenständigen Sozialvorschriften nicht um eine Ausdehnung der Lenkzeiten oder eine generelle Verkürzung der Ruhezeiten, sondern um mehr Flexibilität in der Ausgestaltung. Die Flexibilisierung soll keinesfalls zu Lasten der Sicherheit und der Erholungsphasen des Fahrpersonals gehen. Im Gegenteil: die Sicherheit des Busverkehrs ist ein bedeutender Imagebestandteil und hat für alle bdo-Mitgliedsunternehmer oberste Priorität. Mehr Flexibilität ist im Interesse der Kunden zu ermöglichen und dies ist auch für das Fahrpersonal vorteilhaft, denn mehr Flexibilität führt zu höherer Kundenzufriedenheit und damit zu weniger Stress für den Fahrer.
Die Forderungen im Einzelnen:
1: Mehr Flexibilität bei der Wochenruhezeit
In einem 4-Wochen-Zeitraum muss eine Gesamt-Wochenruhezeit von 140 Stunden eingehalten werden, wobei die Mindestwochenruhezeit pro Woche 24 Stunden beträgt. Fehlende Ruhezeiten müssen innerhalb dieser vier Wochen ausgeglichen werden.
Die bisherigen Regelungen (Verordnung (EG) Nr. 561/2006, Artikel 4h und Artikel 8 Absatz 6) bieten nicht die nötige Flexibilität für Fahrer, Kunden und Busunternehmen. Ebenso provoziert die Kompliziertheit der Regelungen Fehler in der Disposition.
Eine Ruhezeit von 24 Stunden stellt einen angemessenen und ausreichenden Zeitraum für die körperliche und psychische Erholung der Fahrer dar. Eine längere zusammenhängende Ruhezeit, die zu Hause oder an einem frei zu wählenden Platz verbracht werden kann, ist sinnvoll, um dem Fahrer Teilhabe am öffentlichen Leben, Treffen mit Verwandten, Freunden usw. zu ermöglichen. Dies würde dadurch ermöglicht, dass der Fahrer unterwegs verkürzte Ruhezeiten (je 24 Stunden) einlegt und den Ausgleich dann an seinem Heimatort nachholt. Darüber hinaus kann der Einsatz der Fahrer flexibler der saisonalen Nachfrage angepasst werden. Für die Fahrer bedeutet dies häufig eine bessere Bezahlung.
2: Änderungen bei der 12-Tage-Regelung
Die 12-Tage-Regelung soll künftig auch im Inland angewandt werden dürfen und nicht auf einen einzelnen Gelegenheitsverkehr beschränkt sein.
Nach und vor einer Fahrt, die länger als 6 x 24 Stunden dauert, sind jeweils reguläre Wochenruhezeiten von 45 Stunden einzuhalten. Innerhalb eines 4-Wochenzeitraums sind insgesamt 140 Stunden Wochenruhezeit einzuhalten.
Es ist unverständlich, weshalb die heutige Regelung (Verordnung (EG) Nr. 561/2006, Artikel 8 Absatz 6a) zwingend vorsieht, 24 Stunden im Ausland zu verbringen (siehe Vorbemerkung). Durch diese Beschränkung auf den grenzüberschreitenden Verkehr wird der innerstaatliche Tourismus benachteiligt.
Des Weiteren sollte sich der Anwendungsbereich einer neuen 12-Tage-Regelung auch auf den rein nationalen Gelegenheitsverkehr erstrecken, da es auch innerhalb Deutschlands vielen Fahrten gibt, die länger als sechs Tage dauern (ca. 60 %). Dies würde es den Fahrern ermöglichen, längere Ruhezeiten zu Hause oder an einem Ort eigener Wahl zu nehmen und damit im Ergebnis zu einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf bei den Fahrern beitragen.
Die Anwendung der Regelung ist generell praxisuntauglich. Auch bei 7-Tages-Fahrten wird vor der Fahrt eine reguläre Wochenruhezeit (45 Stunden) fällig, nach der Fahrt eine doppelte reguläre Wochenruhezeit (Verkürzungen sind nachzuholen).
Diese langen Ruhezeiten zwingen die Busunternehmen, während der Saison auf Aushilfsfahrer zurückzugreifen, was die Verkehrssicherheit nicht unbedingt verbessert. Viele Busunternehmen verzichten deshalb auf die Anwendung dieser Regelung.
Die derzeitige Einschränkung der 12-Tage-Regelung auf eine einzelne Fahrt (single service) ist nicht sachgerecht und muss abgeschafft werden. Es ist nicht einsichtig, dass nach einer 3-tägigen Fahrt der Fahrer frei haben muss, bevor er eine weitere Reise von 4 Tagen antritt, wenn auf der anderen Seite eine 12-tägige Reise ohne zusätzliche wöchentliche Ruhezeit absolviert werden darf.
3: Bezugszeitraum für die Tagesruhezeit
Der Bezugszeitraum, innerhalb dessen eine neue Tagesruhezeit einzulegen ist, kann unter folgender Bedingung auf 27 Stunden verlängert werden:
Innerhalb eines Zeitraums von 27 Stunden nach Ende einer vorhergehenden Tages- oder Wochenruhezeit muss der Fahrer eine neue Tagesruhezeit einlegen. Tagesruhezeiten müssen dabei mindestens 11 zusammenhängende Stunden dauern. Dreimal pro Woche kann die Tagesruhezeit in bis zu drei Teile geteilt werden, wobei die Gesamt-Tagesruhezeit dann 14 Stunden betragen muss und mindestens eine Teil-Ruhezeit wenigstens 9 Stunden beträgt.
Die typische Busreise besteht heute nur noch zu einem geringen Teil aus Arbeitszeit (Lenkzeit, übrige Tätigkeiten) oder Arbeitsbereitschaft. Zum größten Teil setzt sich die Schichtzeit aus Pausen und Wartezeiten zusammen.
Der derzeitig gültige Bezugszeitraum von 24-Stunden, innerhalb dessen die nächste Tagesruhezeit eingelegt werden muss, ist deshalb oftmals zu kurz. Insbesondere bei Städtereisen sowie Tagesfahrten zu Messen oder Ausstellungen kommen die Fahrer häufig nur auf wenige Stunden Lenkzeit. Die Schicht besteht dafür umso mehr aus Pausen. Die Fahrer sind damit häufig gezwungen, eine neunstündige Ruhezeit am Zielort oder unterwegs an oftmals sehr unruhigen Plätzen einzulegen. Die Qualität einer Ruhezeit, die ein Fahrer unterwegs nimmt, ist dabei grundsätzlich schlechter als bei einer Ruhezeit, die zu Hause verbracht wird. Diese Situation ist regelmäßig ebenso wenig im Interesse der Passagiere wie der Einsatz eines zweiten Fahrers.
Die Möglichkeit einer Ausweitung des Bezugszeitraums für die tägliche Ruhezeit und eine flexiblere Aufteilung der täglichen Ruhezeit hilft, Stress bei den Fahrern abzubauen, indem diesen ein genügend großer zeitlicher Spielraum eingeräumt wird, ihre Fahrgäste auch im Falle von Verzögerungen durch unvorhersehbare Umstände (Stau, Verspätungen, Kundenwünsche) noch innerhalb ihrer Schicht sicher ans Ziel bringen zu können. Eine längere Schichtzeit ermöglicht den Fahrern darüber hinaus die Rückkehr an ihren Wohnort und die Einlegung der Ruhezeiten zu Hause.
4: Flexiblere Pausenregelung
Nach einer Lenkzeit von 4,5 Stunden muss ein Fahrer eine Pause von mindestens 45 Minuten einlegen. Diese Unterbrechung kann durch mehrere Unterbrechungen von jeweils mindestens 15 Minuten ersetzt werden.
Die derzeit vorgeschriebene verbindliche Reihenfolge bei den Lenkzeitunterbrechungen von “15 gefolgt von 30 Minuten” (Verordnung (EG) Nr. 561/2006, Artikel 7) bei einer Aufsplittung der vorgegebenen 45 Minuten ignoriert die unterschiedlichen Anforderungen und Befindlichkeiten der Kunden und fallweise auch die des Fahrpersonals.
5: Mehr Flexibilität bei der Mehrfahrerbesatzung
Ein Mehrfahrerbetrieb soll künftig auch dann vorliegen, wenn sich der zweite Fahrer eines Busses im ersten und im letzten 2-Stunden-Zeitraum einer Reise nicht an Bord des Fahrzeugs befindet.
Bei einer Mehrfahrerbesatzung ist bisher eine gemeinsame Anwesenheit beider Fahrer während der gesamten Fahrzeit notwendig (außer der Zustiegsmöglichkeit während der der ersten Stunde). Auch die Ruhezeit von 9 Stunden muss gleichzeitig genommen werden. Dies stellt eine erhebliche Einschränkung dar: So kann ein Bustransfer am Abend vom Hotel und zurück nicht von nur einem Fahrer geleistet werden, während der andere Fahrer im Hotel seine Ruhezeit nimmt.
Innerhalb des 30 Stunden-Bezugszeitraums der beiden Fahrer sollte es einem Fahrer möglich sein, die Fahrgäste am Anfang und am Ende der Fahrt ohne den zweiten Fahrer befördern zu können, wenn die Alleinfahrt zwei Stunden nicht überschreitet. Die Vorteile dieser Neuregelung wären, dass den Fahrern die Möglichkeit gegeben wird, längere Ruhezeiten außerhalb des Fahrzeugs zu verbringen. Dies dient einem ausgewogenen Verhältnis von Arbeit und Freizeit sowie der Verkehrssicherheit.